Energiewirtschaft

Energiewirtschaft
von Professor Dr. Wolfgang Ströbele
I. Energiewirtschaft – Angebots- und Nachfragerseite
Auf der Angebotsseite umfasst die Energiewirtschaft diejenigen Sektoren der Wirtschaft, die mit der Förderung bzw. dem Import von Energieträgern, deren Umwandlung, Lagerung und Transport befasst sind. Die Energienachfrage von Haushalten, Industrie und Gewerbe richtet sich auf die nutzbaren Endenergieträger wie etwa Strom, Kraftstoffe, Erdgas oder Heizöl, die zusammen mit geeigneten Anlagen geeignet sind, die gewünschten Energiedienstleistungen zu erbringen.
Energie ist physikalisch-technisch die „Fähigkeit Arbeit zu verrichten“, d.h. Massen zu bewegen und zu verformen, chemische Reaktionen auszulösen, hohe Temperaturen zu erzeugen und durch elektrische Impulse Signale zu übertragen. Die Energiedienstleistungen umfassen Hochtemperaturwärme etwa für das Schmelzen von Metallerzen, Niedertemperaturwärme etwa für Heizung und Warmwasserbereitung, Transport von Gütern und Personen, elektrochemische Reaktionen wie Elektrolyse, weiterhin Beleuchtung und Telekommunikation, Antrieb stationärer Motoren. Um die verschiedenen eingesetzten Energieträger untereinander vergleichbar zu machen, werden sie in Wärmeäquivalenten ausgedrückt und in Petajoule (1.015 J) bzw. Exajoule (1.018 J) ermittelt. Die in Deutschland seit Jahrzehnten verwendete und immer noch populäre Energieeinheit Steinkohleeinheiten (SKE) rechnet sich wie folgt um: 1 Mio. t SKE = 29,308 PJ.
Im Sinn der Ressourcenökonomik ist Energie eine unverzichtbare Ressource: Jeder Energieträger wird durch Nutzung letztlich in qualitativ minderwertige Wärme umgewandelt und geht dann durch Abstrahlung in das Weltall für immer verloren. Ohne Energieeinsatz ist praktisch kein Produktionsprozess, v.a. nicht im industriellen Maßstab, denkbar.
II. Historische Entwicklung
Aus historischer Sicht wurden derartige Energiedienstleistungen bis weit in das 19. Jahrhundert hinein im Wesentlichen durch regenerative Energieträger erbracht. Die Erzeugung von Wärme für Heizung oder Kochen basierte auf der Verbrennung von Holz oder anderer Biomasse, ebenso die Verhüttung von Metallerzen (Holzkohle). Wind und Wasserkraft lieferten mechanische Energie ebenso wie Tierfutter Energie für Pferde und andere Zugtiere. Durch großflächige Abholzungen im Raum Lüneburg oder um die jeweiligen Standorte von Hochöfen wurden die ersten Energiekrisen wegen Holzknappheit im Mittelalter ausgelöst. Mit dem Bau des ersten Hochofens auf Steinkohlebasis 1709 in Wales durch A. Darby begann das industrielle Zeitalter auf der Basis der Steinkohlenutzung. Die Industrialisierung in England und Mitteleuropa im 19. Jahrhundert basierte praktisch vollständig auf Kohle. Mit der Entdeckung des Mineralöls nördlich von Hannover und 1859 in Pennsylvania (USA) begann ein rasches Vordringen von Mineralölprodukten zunächst für Beleuchtung (Petroleum) und dann als Kraftstoff für Fahrzeuge. Während in den USA bereits nach dem Ersten Weltkrieg als dritter wichtiger Energieträger Erdgas verwendet wurde, begann dessen Expansion in Europa erst in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts ebenso wie die zivile und kommerzielle Nutzung der Kernspaltungstechnik in den Industriestaaten Amerikas, Japan und Europas inklusive der damaligen Sowjetunion. Um die Jahrhundertwende zum 21. Jahrhundert basierte die (kommerzielle) Weltenergieversorgung zu über 90 Prozent auf Verbrennung fossiler Energieträger und jeweils zu rund 5 Prozent auf der Nutzung regenerativer sowie nuklearer Energie in Kernkraftwerken. Daneben gibt es in weiten Gebieten v.a. nahe des Äquators noch zahlreiche Energieeinsätze durch Brennholz, die statistisch nur unzureichend erfasst werden.
III. Energiewirtschaft heute
Die Energiewirtschaft in Industrieländern lässt sich heute als ein miteinander verflochtenes und gegenseitig abhängiges System von Märkten für die verschiedenen Energieträger Mineralöl, Erdgas, Braun- und Steinkohle sowie Uran beschreiben. Die Energieträger haben jeweils spezifische Vor- und Nachteile, die ihre Einsatzmöglichkeiten und Marktchancen abgrenzen.
- Vgl. Abbildung „Energiewirtschaft – Vor- und Nachteile von (Primär-)Energieträgern“. Für den Antrieb nicht-schienengebundener Fahrzeuge wird offensichtlich ein gut speicherbarer Energieträger benötigt, was bisher optimal durch flüssige Kraftstoffe bedient wurde. Beleuchtung und Telekommunikation mit den heutigen Standards sowie der Antrieb unterschiedlich großer stationärer Motoren lassen sich praktisch ausschließlich über elektrische Lösungen darstellen. Die Erzeugung von hohen Temperaturen in der Grundstoffindustrie kann hingegen oftmals durch einen breiten Mix von Energieträgern wie Heizöl, Erdgas, Kohle aber auch Altreifen etc. erfolgen. Dafür sind natürlich entsprechend ausgelegte technische Anlagen erforderlich.
Die Transport- und Lagermöglichkeiten der Energieträger sind sehr unterschiedlich. Aufgrund der sehr hohen spezifischen Transportkosten für Braunkohle wird diese in der Regel nahe der Förderstellen sofort in Strom umgewandelt bzw. in geringem Umfang zu Briketts verarbeitet. Die spezifischen Transportkosten für Steinkohle sind zwar hoch, dennoch wird Steinkohle international gehandelt und mit Schiffen über die Meere transportiert. Ebenfalls weltweit gehandelt wird Mineralöl, dessen Transportkosten in Tankern und Pipelines deutlich niedriger liegen als für Kohle. Während man also bei Steinkohle und Mineralöl von einem Weltmarkt sprechen kann, sind die Transportkosten für Erdgas nur bei Pipeline-Transport bis zu wenigen tausend Kilometern noch günstig. Inselstaaten wie Japan müssen über tiefgekühltes Erdgas versorgt werden (Liquefied Natural Gas (LNG)), dessen Transportkosten bereits sehr hoch sind. Dementsprechend gibt es jeweils regional separierte Märkte für Erdgas in Nordamerika oder in Europa (im Verbund mit Russland und Nordafrika).
Die so genannten leitungsgebundenen Energieträger (Strom, Erdgas, Fernwärme) benötigen für den wirtschaftlichen Transport Leitungsnetze. Deren Ausbau und Unterhaltung ist für die Versorgungssicherheit bei diesen Energieträgern notwendig. Zugang für Dritte zu derartigen Netzen wird aus Wettbewerbsgründen gefordert, so dass hier häufig staatliche Regulierung des Netzzugangs und der Konditionen dafür stattfindet.
Fossile Brennstoffe, nämlich Kohle, Mineralöl und Erdgas, bestehen zu unterschiedlichen Anteilen aus Kohlenstoff und anderen brennbaren Anteilen wie etwa Schwefel oder Wasserstoff. Bei Verbrennung der in der Tabelle schattiert hervorgehobenen fossilen Energieträger entstehen deshalb in der Regel auch Emissionen an besonderen Schadstoffen. Je nach Beimischungen von Schwefel oder anderen Stoffen entstehen die „klassischen“ Emissionen SO2 oder Staubpartikel, welche heute durch moderne Filter- oder Abscheidetechniken aus dem Abgas getrennt werden. Der Luftstickstoff reagiert zudem bei bestimmten Temperaturen zu NOx, was heute durch Katalysatoren in der Abgasanlage wieder rückgängig gemacht werden kann.
Unvermeidlich ist bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe die Entstehung von CO2 je nach Kohlenstoffanteil des Energieträgers: Braunkohle emittiert spezifisch am meisten, Erdgas aufgrund seines hohen brennbaren Wasserstoffanteils am wenigsten CO2/Energieeinheit. Die CO2-Emissionen der Kernenergienutzung und bei der Nutzung regenerativer Energien entstehen v.a. auf den vor- und nachgelagerten Stufen im Gesamtsystem. Die weltweite Beschränkung von CO2-Emissionen ist Gegenstand der Klimapolitik. Literatursuche zu "Energiewirtschaft" auf www.gabler.de

Lexikon der Economics. 2013.

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